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Sonntag, 19. Juni 2011

Geschichte #4

 Waiting For The End

Langsam regt es dich auf. Den ganzen Tag läuft schon alles schief. Das Buch hatte es in alle 3 Läden nicht. Dein Head-Set konntest du nicht umtauschen und und das Konzert ist ausverkauft.
Du solltest echt mal anfangen dir alles bei Amazon und so zu bestellen. Zu allem Übel fällt jetzt wegen diese bescheuerten Baustelle auch noch deine Bahn aus. 34 Minuten. 34 lange Minuten musst du jetzt warten damit du nochmal 42 Minuten warten kannst um in dein kleines spießiges Kaff zu fahren.
Mal schauen was du jetzt so für Möglichkeiten hast. Du könntest in den Buchladen um die Ecke gehen. Du könntest in den McDonalds hinter dir gehen und dir irgendwelchen FastFoo scheiß in den Magen stopfen. Du könntest jemanden Anrufen. Nein. Nein das kannst du alles nicht tun. Besser gesagt, du willst es nicht tun. Der Buchladen hat nur scheiße im Angebot. Alle die ganzen Bestseller, Klatschbücher, Kabarettschinken, Kitschrromane und Marvelcomics interessieren dich einen Scheißdreck. Du hasst McDonals und alle die es lieben. Und vor allem hasst du es zu Telefonieren. Leute Anrufen, freiwillig mit irgendjemandem reden zu müssen. Das sind schlimme Gedanken! Aber hier ist das anders. Hier hast du deiner Ruhe. Hier kannst du Musik hören und deinem Hobby nachgehen. Menschen beobachten! Oh ja, schon seit längerer Zeit vergnügst du dich damit fremde Menschen genau zu beobachten und dir ihre Lebensgeschichten auszudenken. Immer wenn du auf längeren Zugfahrten oder im Café bist. Menschen beobachten ist dein Ding! Er letztens saß ein Typ in der Bahn der aussah wie jemand der aus der Irrenanstalt geflohen ist. Er hatte eine Baumwolltasche fest umklammert und ein Grinsen, das bis zu beiden Ohren ging. Er trug neonfarbene Schuhe, bunte Wollsocken , eine helle Hochwasser-Jeans und ein viel zu großes ungebügeltes Hemd. Unter seiner roten Nase campte ein fröhlicher Schnauzbart der seine Kinder in Richtung Nasenlöcher schickte. Wahnsinn. Du hättest gerne so viel mehr über ihn erfahren. Aber er war dir doch etwas zu gruselig. Immer wenn jemand an ihm vorbei ging wurde sein Grinsen zu einem ängstlichen O-Mund und er schaute der Person aufgeregt hinterher. Was er wohl in seiner Baumwohltasche hatte?
Hier ist aber alles anders. Hier kann man niemanden beobachten. Es ist unfassbar. Du sitzt an der belebtesten Haltestelle der Stadt und keine interessante Person ist in Sichtweite. Ein paar Frauen mit Kindern, viele Rentner, Geschäftsleute und Bauarbeiter. Wow. Es bleibt dir nichts anders übrig als den iPod anzumachen. Schon bist du in einer anderen Welt in der ClickClickDecker mit dir Flammen ans Brandenburger Tor schlagen will. Du liebst diese Welt und achtest gut darauf, dass dich niemand aus ihr raus reißt. Es sind noch 26 Minuten. Nach einer Weile setzt sich eine alte Frau zu dir auf die Bank. Du rückst auf damit sie Platz hat. Sie tippt dir auf die Schulter. Du nimmst deine Kopfhörer aus den Ohren.
Unglaublich dass die nicht warten können, oder?“, „Ich hab vier mal auf die Tür von der S2 gedrückt, aber die ist einfach weggefahren.“ „Was die wohl für Anweisungen bekommen.“
Du nickst und nuschelst irgendwas mit „Ja“ und „Versteh ich auch nicht“, wendest dich aber im gleichen Moment von ihr ab.
Jetzt steht da irgendwas von 12 Minuten“
Die Frau redet so leise, dass du sie kaum verstehen kannst. Eigentlich willst du ihr sowieso nicht zuhören. Du steckst dir langsam deinen linken Kopfhörer ins Ohr in der Hoffnung sie sieht es und wird dich nicht weiterhin stören.
Früher war hier ja noch nicht so ein Chaos. Aber seit die ihrer Mitarbeiter nur noch aus Polen hohlen geht das alles den Bach runter.“
Oh toll, sitzt jetzt eine kleine alte Rassistin neben dir? Das mit den polnischen Angestellten stimmt doch gar nicht. Du kicherst ihr leicht entgegen und wendest dich wieder ab. Die nächsten 12 Minuten werden der Horror. Wieso? Wieso setzt sich diese alte labernde Frau ausgerechnet neben dich. Du willst einfach nur deine Ruhe. Das schlimme, du kannst nichts dagegen tun. Aufstehen und woanders hinsetzen. Geht nicht, hier gibt es keine anderen freien Sitzmöglichkeiten und es wäre zu unhöflich sich einfach irgendwo hinzustellen. Ob du einfach in irgendeine Bahn einsteigen und mit ihr bis zu nächsten Station fahren solltest? Du kannst auch da später in die Bahn einsteigen die dich nach hause bringt. Auch blöd. An der nächsten Haltestelle könnte sie dich sehen. Du erträgst die 12 Minuten.
Genervt versuchst du dich mit anderen Dingen zu unterhalten. An der gegenüberliegenden Haltestelle steht ein Typ der von Kopf bis Fuß Rosa ist. Du lachst dich innerlich gerade zu Tode, denn du liebst es Freaks auf de Straße zu sehen. Endlich eine interessante Person in Sichtweite! Er trägt eine rosafarbene Baseballmütze, rosafarbene Schweißbänder, ein rosa Polohemd, rosa Shorts und weiße Schuhe. Zum Brüllen. In der Hand hält er eine weiße Tasche. Du vermutest Tennisschläger darin. Etwas glücklicher begibst du dich in eine aufrechte Position. Die Frau redet immer noch. Rechts neben dich hat sich eben ein alter Mann gesetzt. Du bist nun von Rentnern umzingelt. Zu deinem Glück hat er nicht mehr als: „Ist da noch frei?“, gefragt.
Endlich, du siehst von weitem die S2. Die alte Frau wird in einer Minute weg sein. Sie beginnt jetzt nochmal alles was an Nörgel- und Meckerkunst in ihr steckt rauszulassen. Dich stört es nicht mehr.
Die S2 ist nur noch wenige Sekunden entfernt. Die alte Frau steht auf, wünscht dir noch einen schönen Tag und humpelt davon. Du hast ihr ebenfalls noch einen schönen Tag gewünscht und auch wenn sie dir in den letzten paar Minuten noch jeden Nerv geraubt hat, irgendwie vermisst du sie.
Als du in deine Bahn einsteigst die nur 8 Minuten danach kam steckst du dir deine Kopfhörer wieder ins Ohr und beobachtest die anderen Menschen. In Gedanken bist du aber bei der alten Frau.
Du fragst dich welche armen Menschen sie jetzt wohl belästigt. Du schmunzelst in dich hinein und wartest bis du zuhause bist.

Fahr mich einfach nach Hause

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